Russland
Kein Weg aus dem postkommunistischen Übergang?
Aus dem Italienischen von Rita Seuß
vergriffen
Stillgelegte Fabriken und aufgegebene Menschen, Megakonzerne und eine reiche Führungsklasse, dahinter ein autoritärer Staat, der unliebsame Oligarchen hinter Gitter bringt – widersprüchlich sind die Nachrichten aus der früheren Sowjetunion. Zaslavsky und Gudkov analysieren mit großer Kenntnis und schonungslos das heutige Russland.
Der postkommunistische Übergang ist in Russland historisch einzigartig. Anders als in den ostmitteleuropäischen Staaten fand kein nennenswerter Austausch der Führungselite statt. Veränderungen gab es in der Wirtschaft, wo sich eine gewisse Entstaatlichung vollzog, aber dennoch hat der erbitterte Widerstand des militärisch- industriellen Sektors und der Staats- und Parteibürokratie den Übergang zu einer postindustriellen Gesellschaft verhindert. In der Politik hingegen wird eine Rückbildung zum autoritären Staat immer deutlicher. Das heute herrschende Regime setzt auf die Tradition, Großmachtgehabe, einen paranoiden Nationalismus, die Gleichschaltung der Justiz und eine deklarierte orthodoxe Religiosität und fördert eine Atmosphäre des allgemeinen Zynismus und Massenkonsums. Belegt durch reiches Datenmaterial, beschreiben die Autoren den Weg Russlands vom Ende des Kommunismus zur großen Krise 1998, über den Aufstieg Putins bis hin zu Medwedjew. Und sie kritisieren die westlichen Staaten, deren Haltung mehr von energiepolitischen Erwägungen bestimmt wird als dem Drängen auf Einhaltung der Menschenrechte und die so die autoritäre Staatsmacht festigen.
Victor Zaslavsky
Victor Zaslavsky, geboren 1937 in Leningrad (heute St. Petersburg), arbeitete zehn Jahre als Ingenieur und unterrichtete anschließend Soziologie an der Universität Leningrad. Nach der Emigration 1975 lehrte er fast zwei Jahrzehnte an der Memorial University of Newfoundland in St. John's, Kanada, sowie an der University of California in Berkeley, der Stanford University und an den Universitäten von Florenz, Venedig, Bergamo und Neapel. Zuletzt war er Professor für Politische Soziologie an der Free International University for Social Sciences, Luiss Guido Carli, Rom. 2009 starb er in Rom.
Lev Gudkov
Lev Gudkov, 1946 in Moskau geboren, hat Soziologie, Journalismus und Philologie studiert. Er ist Direktor des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Levada Center und Herausgeber der Zeitschrift The Russian Public Opinion Herald. Zudem lehrt er Soziologie an der Moskauer Hochschule der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.
Aus dem Inhalt
Einleitung von Lev Gudkov
Erster Teil: Der russische Arbeitsmarkt im postkommunistischen Übergang
1. Der postkommunistische Übergang: Die erste Phase
2. Die Arbeiterklasse im Übergang
3. Der postkommunistische Übergang: Die Gewinner und die Verlierer
4. Die Gewerkschaften im Übergang
5. Die Privatisierung und die Oligarchen
6. Osteuropa und Russland: Der Übergang im Vergleich
Zweiter Teil: Putins Russland
7. Die zweite Phase des russischen Übergangs:
Der Aufstieg Wladimir Putins
8. Die Errichtung des autoritären Regimes
9. Der »starke Staat« und seine Widersprüche
10. Autoritärer Übergang und übergangsloser Autoritarismus
11. Die Außenpolitik und die russische Öffentlichkeit in der Ära Putin
12. Die politische Kultur und die Organisation des Konsenses
13. Die Krise von 2008
14. Putins Elite
Schluss: Russland und der Westen
Pressestimmen
»Bis zu seinem überraschenden Tod 2010 arbeitete Zaslavsky mit dem kritischen russischen Soziologen und Meinungsforscher Lev Gudkov an einer empirisch fundierten Analyse des postkommunistischen Übergangs, die nun unter dem schlichten Titel ‚Russland' auf Deutsch erschienen ist. Wer wissen will, was in Russland wirklich los ist, muss dieses Buch gelesen haben.
Der schmale Band überzeugt durch Übersichtlichkeit und seinen unaufgeregten Argumentationsstil. Kein Satz ist überflüssig; man muss sich nicht durch eine Suada von gesellschaftswissenschaftlicher Antragsrhetorik durcharbeiten, um zum Wesentlichen zu kommen, der gesellschaftlichen Logik des postkommunistischen Übergangs in Russland. Souverän werden Vergleiche mit anderen postkommunistischen Übergängen, aber auch Transformationen anderer autoritärer Systeme etwa Spaniens und Südkoreas angestellt. Auch über Deutschland kann man dabei etwas lernen; denn bis heute wirkt das Hervorgehen zweier deutsche Gesellschaften aus dem Nationalsozialismus im nach 1990 vereinigten Deutschland nach, ohne wirklich begriffen worden zu sein.«
Detlev Claussen, taz
»Wie das Land in die gegenwärtige Phase der Stagnation hineingeschlittert ist, analysieren die beiden russischen Soziologen Lev Gudkov und Victor Zaslavsky in ihrem überaus lesenswerten ‚Russland'-Buch. Gut arbeiten die Autoren auch die Unterschiede in den Entwicklungswegen Russlands und der mittelosteuropäischen Länder nach dem Sturz der kommunistischen Systeme heraus. Dass Putins autoritäre Ordnung Russland zwar eine oberflächliche politische Stabilität und der Bevölkerung eine Zeit lang durch den hohen Ölpreis wirtschaftliche Verbesserungen gebracht hat, das ganze Land dabei aber nicht wirklich vom Fleck gekommen ist, zeigt sich erst jetzt.«
Burkhard Bischof, Die Presse