Wakolda

Wakolda

Aus dem argentinischen Spanisch von Rike Bolte

Quartbuch. 22.8.2012
192 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag
18,90 €
ISBN 978-3-8031-3246-8
Vergriffen. Als WAT-Ausgabe erhältlich.

Gepeinigt von einem beängstigenden Perfektionswahn und auf der Flucht durch Argentinien bietet sich einem deutschen Arzt die Möglichkeit, seine alptraumhaften Ideen zu verwirklichen.

Eine argentinische Familie im Citroën und ein alleinreisender Deutscher im
Chevrolet geraten in der Einöde Patagoniens in ein Unwetter. Während der
gemeinsam verbrachten Sturmnacht erregt die Kleinwüchsigkeit von Lilith, der
12- jährigen Tochter der Familie, die Aufmerksamkeit des Ausländers, der sich
José nennt. Nach der Ankunft in Bariloche quartiert sich der Fremde bei der Familie als Untermieter ein und verspricht, das Mädchen zu behandeln. Als er dann sogar Liliths neugeborenen Zwillingsschwestern das Leben rettet, gewinnt er nach und nach das Vertrauen der Familie. Doch die seltsamen Skizzen in seinem Zimmer lassen keinen Zweifel zu: José und Josef Mengele, der KZArzt
von Auschwitz, sind ein und dieselbe Person . . .
Lucía Puenzo greift in ihrem neuen Roman die Fakten und Mythen rund um
den in ihrem Heimatland Argentinien untergetauchten Nazi-Verbrecher auf –
es ist die distanzierte Annäherung an einen Besessenen. Anders als Lilith, die
Mengele in kindlicher Faszination erliegt, weiß der Leser doch nur zu genau,
mit welchem Scheusal sie es zu tun hat.
Ein gewagtes, ambitioniertes Buch.

Lucía Puenzo

© Laura Ortego

Lucía Puenzo

Lucía Puenzo, 1976 in Buenos Aires geboren, Schriftstellerin und Filmemacherin. Ihr Debüt als Regisseurin gab sie 2007 mit »XXY«, der beim Filmfestival in Cannes mit dem Grand Prix de la Semaine de la Critique und in Madrid mit dem Goya für den besten nichtspanischen Film ausgezeichnet wurde. Ihre Verfilmung ihres eigenen fünften Romans »Wakolda« wurde 2012 in Cannes uraufgeführt und gewann 20 internationale Filmpreise. Die Serie »Ingobernable« ist ab Dezember 2018 auf Netflix zu sehen. Puenzos fünf Romane umfassendes Erzählwerk wurde in 15 Sprachen übersetzt.

»Ein unheimliches, noch dazu unheimlich gutes Buch.« Ralf Hammerthaler, Süddeutsche Zeitung

Leseprobe

Im Morgengrauen fuhr José auf eine Tankstelle gleich hinter der Wüstenstraße.
Als er aufschaute, sah er das Mädchen vom Vortag aus einem mit Koffern vollgestopften
Citroën herausklettern und auf den kleinen Laden zulaufen. Ohne dass
sie es bemerkte, verlor sie auf halber Strecke ihre Lieblingspuppe, die kopfüber
auf dem Asphalt landete. Er ging hinüber zu der Puppe, sein Schatten legte sich
über ihren perfekten Körper: Der Mund war halb geöffnet, durch die mit beneidenswert
ruhiger Hand gezogenen Lippen sah er eine winzige rosafarbene Zunge
hervorlugen. Es handelte sich um ein Porzellangeschöpf, die Haut so fein geschliffen,
dass sie sich samtig anfühlte wie die eines Neugeborenen. Sein Medizinerauge
entdeckte ein paar Unvollkommenheiten, winzig kleine Spuren, die belegten,
dass
die Puppe Handarbeit war (auch wenn man zweifellos eine importierte Puppe als
Muster genommen hatte, eine, wie er sie in den Armen so vieler kleiner deutscher
Mädchen aus der Oberschicht gesehen hatte). Dann vernahm er ein beinahe unhörbares
Tick-Tack. Er hielt sich die Puppe ans linke Ohr . . . Konnte das eine Uhr sein?
Ja, befand er kurz darauf, es war eine Uhr. Im Innern des Körpers
versteckt, ganz
fest und mitten in der Brust saß sie und tickte. Der Effekt war verwirrend, die
Puppe hatte also ein mechanisches Herz. Nie zuvor hatte er eine Porzellanpuppe
mit solcher Aufmerksamkeit betrachtet: Es war ein Kunstwerk, das dem Leben
allzu nahe kam.
»Das ist meine.«
Die Hände in die Hüften gestemmt, hatte sich Lilith mit ihren ein Meter dreißig
jetzt vor ihm aufgebaut. Er war es gewohnt, Körper auf einen Blick zu erfassen:
Das Mädchen wog etwa fünfunddreißig Kilo; gute Ernährung, perfektes Gebiss,
alte, aber saubere Kleidung, keine Spuren von Vitaminmangel an Haut, Haar und
Nägeln.

Pressestimmen

»Mengele war ein Monster. Aber das ist keine literarische Kategorie. Dennoch verzieht man erst mal das Gesicht, wenn man im Klappentext zum knapp zweihundert Seiten schmalen Roman ‚Wakolda' seinen Namen entdeckt. Muss das jetzt sein? Offenbar ja. Das Gesichtsverziehen war ein Fehler. Denn es stellt sich während der Lektüre heraus, dass Lucía Puenzo ein unheimliches, noch dazu unheimlich gutes Buch geschrieben hat. Die Argentinierin verfügt über Empathie, die das Monströse mit einschließt. Konzentriert auf das Jahr 1960 malt sie sich aus, wie es Mengele in ihrem Land ergangen sein mag. Dabei verrät sie die Erzählung nie an dunkles Geraune, es gibt kein leichtfertiges Gruseln, keine billigen Effekte. Vielmehr taucht sie die atmosphärisch dichten Kapitel in ein beinahe schmerzhaftes Licht. Die geschilderte Beziehung zwischen dem deutschen Arzt und einem argentinischen Mädchen zählt zum Gelungensten, Heikelsten und Verbotensten, was in der Literatur von heute zu haben ist.«

Ralf Hammerthaler, Süddeutsche Zeitung

 

»‚Wakolda' ist die raffiniert konstruierte Geschichte eines Fanatikers. Zugleich aber ist Puenzos ruhig, behutsam und ökonomisch erzählter Roman eine krude Beziehungsgeschichte, die sich zwischen Lilith und Mengele entspinnt, eine Missbrauchsfarce in mehrfacher Hinsicht. Die Holocaustforschung hat sich ausführlich mit dem Todesengel von Auschwitz auseinandergesetzt, hat versucht, seine Rolle und seine Person zu deuten, aber gelungen ist dies nie so recht. Lucía Puenzo nun will zum Wesen dieses Mörders vordringen, und zumindest etwas von seiner Unheimlichkeit und Brutalität vermag sie zu enthüllen.«

Ulrich Rüdenauer, Literaturen

 

»Aus den wahnwitzig vielen Legenden um Mengele und aus biografischen Tatsachen hat die argentinische Schriftstellerin Lucía Puenzo einen Roman destilliert. Sie sucht dabei weder wild psychologisierend nach Erklärungen für Mengeles Taten noch schlägt sie effekthascherisch mit dem Grusel-Vorschlaghammer um sich. Puenzo nähert sich Mengeles Gedankenwelt über einen distanzierten, allwissenden Erzähler an. Sie will ihn nicht verständlich machen. Er bleibt stets ein Fanatiker. In ihrem großartigen dritten Roman stellt Puenzo auch die Frage, wie Mengele am Fuße der Anden derart ungestört leben konnte. Obwohl er sein Gedankengut offen auslebt, wird er zu Diners, Empfängen und Jagdausflügen eingeladen. Selten wurde Mengele und seinen Gesinnungsgenossen so eindrucksvoll nachgegangen wie in diesem Buch.«

Johan Dehoust, Spiegel Online

 

»In ‚Wakolda' werden gnadenlos die bestialischen Gedanken und die menschenverachtende Ideologie Mengeles über die Ursünde der Rassenvermischung oder die Reinerhaltung des Blutes geschildert. Durch symbolische Übersteigerung gelingt es Puenzo, ein Bild von Joseph Mengele, der sich nie der Verantwortung stellen musste, jenseits banaler Bösartigkeit zu entwerfen. Lucía Puenzo blickt tief in die menschlichen Abgründe und zwingt den Leser, es ihr gleichzutun.«

Julia Zarbach, Falter

 

»Alles ist drin. Ein Roadtrip durch Argentinien, die dunkelste Vergangenheit, die man sich für einen Deutschen vorstellen kann, und eine Flucht. Puenzo verknüpft geschickt die bekannten Informationen mit Legenden um den Nazi Mengele, der Reflexion dieser Legenden und etwas Fantasie. Die Autorin zeigt auf, wie unbehelligt die Verbrecher des Nationalsozialismus in ihrer Heimat Argentinien gelebt haben. Die Spannung funktioniert in Puenzos auf historischen Tatsachen beruhendem Roman.«

Catarina von Wedemeyer, taz

 

»Mit Hingabe skizziert Puenzo das patagonische Städtchen, in dem die Handlung angesiedelt ist, als einen Hort illustrer Nazi-Exilanten. Damit übt die Autorin scharfe Kritik an ihrer Heimat Argentinien, wo zahlreichen NS-Verbrechern Unterschlupf gewährt wurde. Lucía Puenzo ist nicht daran interessiert, den Mythos Josef Mengele nüchtern zu betrachten. Im Gegenteil, sie nutzt das Bild des Todesengels, um der Rassenideologie das Gesicht des Besessenen zu geben. Man kommt Mengele gefährlich nah – und schreckt dennoch vor ihm zurück. Geschickt zieht Lucía Puenzo außerdem Parallelen zur argentinischen Gesellschaft und der Unterdrückung der Indios – ohne die Einmaligkeit des Holocausts in Frage zu stellen. All das gelingt ihr durch mitreißende Fabulierkunst. Ein Buch, reich an Handlung. Das Ergebnis – in der überzeugenden Übersetzung von Rike Bolte – ist genauso spannend wie verstörend.«

Jörn Seidel, Radio Bremen

 

»'Wakolda' ist ein spannender, verrückter, erschütternder Text. Puenzo verunsichert den Leser. Indem sie einen Täter als Menschen zeigt. Indem sie eine Nähe herstellt zwischen Täter und Opfer. Ein gewisser Mut gehört dazu, sich diese Gestalt als Buchfigur vorzunehmen: Josef Mengele. Ja, Puenzos Werk ist ein provozierender Roman, obendrein packend, gut lesbar, die Sprache meist angenehm nüchtern. Eine schreckliche und schöne, eine schrecklich schöne Geschichte.«

Uwe Stolzmann, Westdeutscher Rundfunk

 

»Lucía Puenzos Roman 'Wakolda' liest sich gleich auf den ersten Seiten beklemmend, wenn die Autorin aus der Perspektive von Josef Mengele erzählt. Puenzo verbindet darin Fakten und Legenden rund um Mengeles Leben in Argentinien zu einer Handlung, in deren Zentrum die Annahme steht, dass Mengeles Besessenheit mit seinen „Forschungen" auch nach der Flucht aus Deutschland sein Dasein bestimmte. Der Autorin ist ein überzeugendes, sprachlich zurückhaltendes und darum umso eindringlicheres Psychogramm eines ideologisch besessenen Mörders gelungen.«

Jeanette Villachica, Jüdische Allgemeine

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