Ich nannte ihn Krawatte
Printausgabe vergriffen
Ist es Zufall oder eine Entscheidung? Auf einer Parkbank begegnen sich zwei Menschen. Der eine alt, der andere jung, zwei aus dem Rahmen Gefallene. Nach und nach erzählen sie einander ihr Leben und setzen behutsam wieder einen Fuß auf die Erde.
Nur wenige sorgfältig gewählte Worte benötigt Milena Michiko Flašar, um ihre Figuren zum Leben zu erwecken, nur wenige Szenen, um ganze Schicksale zu erzählen. Ein junger Mann verlässt sein Zimmer, in dem er offenbar lange Zeit eingeschlossen war, tastet sich durch eine fremde Welt. Eine Bank im Park wird ihm Zuflucht und Behausung, dort öffnet er die Augen, beginnt zu sprechen und teilt mit einem wildfremden Menschen seine Erinnerungen. Der andere ist viele Jahre älter, ein im Büro angestellter Salaryman wie Tausende. Er erzählt seinerseits, über Tage und Wochen hinweg, Szenen eines Lebens voller Furcht und Ohnmacht, Hoffnung und Glück. Beide sind Außenseiter, die dem Leistungsdruck nicht standhalten, die allein in der Verweigerung aktiv werden.
Aus der Erfahrung, dass Zuneigung in Nahrung verpackt, Trauer im Lachen verborgen werden kann und Freundschaften möglich sind, stärken sie sich für einen endgültigen Abschied und einen Anfang. Milena Michiko Flašar macht eine Parkbank zur Bühne, zu einem huis clos unter freiem Himmel. Die Bank befindet sich in Japan und könnte doch ebenso gut anderswo in der westlichen Welt stehen. Dieser Roman stellt der Angst vor allem, was aus der Norm fällt, die Möglichkeit von Nähe entgegen – sowie die anarchische Kraft der Verweigerung.
© Helmut Wimmer 2022
Milena Michiko Flašar
Milena Michiko Flašar, geboren 1980 in St. Pölten, hat in Wien und Berlin Germanistik und Romanistik studiert. Sie ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters. Ihre Romane »Ich nannte ihn Krawatte« und »Herr Kato spielt Familie« wurden mehrfach ausgezeichnet und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Wien.
Pressestimmen
«Ein kleiner, zarter, melancholischer Roman von großer sprachlicher Schönheit und Klarheit. Sucht man nach einem literarischen Vorbild und Vergleich, dann fallen einem die kleinen Arbeiten Robert Walsers ein. Flašars Roman steht Walser in nichts nach, sanft, leise und traurig, wie er ist. Für die leisen Töne der vielleicht nur zufälligen Nichtunterwerfung hat Milena Michiko Flašar in ähnlich sensibles Organ wie der große Robert Walser. Dieser unscheinbare, makellose Roman ist in all seiner Trostlosigkeit ein Buch, das Mut macht.»
Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung
„Milena Michiko Flašars Roman ist der Überraschungserfolg dieses Frühjahrs. Sie findet inmitten ihrer großen Motive viele schöne kleine Sprachbilder. ‚Ich nannte ihn Krawatte‘ ist eine schöne, traurige, perfekt gebaute Ballade über die schwankenden Fährnisse des Auf-der-Welt-Seins. Manchmal müssen wir uns offenbar erzählen, dass wir verletzliche, fühlende, endliche, fehlbare Menschen sind und verloren, wenn wir einander nicht finden. Es ist eine große erzählerische Leistung, dass Milena Michiko Flašar diesen Gedanken im Leser erwecken vermag. Viele Momentbeschreibungen sind eben wirklich großartig. Der Ich-Erzähler lernt, ‚dass es sich lohnt, am Leben zu sein‘. Bücher, denen es gelingt, genau das vorzuweisen, braucht man auf alle Fälle dann und wann.“
Dirk Knipphals, taz
»Milena Michiko Flašar schreibt eine klare, konzentrierte Prosa, eine Prosa, deren soghaftem Rhythmus man sich nicht oder nur schwer entziehen kann. Mit staunenswerter Empathie beschreibt Milena Michiko Flašar die Freundschaft zwischen dem jugendlichen Hikkikomori und seinem erwachsenen Freund, einem gescheiterten Büroangestellten. Flašar hat eine einfühlsame Selbstfindungsgeschichte geschrieben, ohne dabei auch nur eine Zeile lang ins Sentimentale abzugleiten. Eine starke Autorin – und ein großes Versprechen.«
Günter Kaindlstorfer, ORF
«Ein Roman von faszinierender Detailfülle, ein Buch, das, um sich deutlich zu machen, große Begriffe – wie Freiheit, Glück, Wahrheit – nicht scheut. Milena Michiko Flašar kehrt im Anekdotischen das Exemplarische hervor.»
Urs Jenny, Der Spiegel
«Milena Michiko Flašar beschreibt die Annäherung zwischen zwei Außenseitern, die nichts mehr zu verlieren haben und deshalb ehrlich zueinander sind, mit zarter Sprache und großer emotionaler Kraft.»
Freundin
„Milena Michiko Flašars Geschichte gleicht einem Kammerstück, das nach dem Ein-Raum Prinzip wenig Kulissenwechsel braucht und auf die Kraft des Ausdrucks setzt. Die Autorin hat ein Talent für Sprache und Mut zu bewegten, eigenen Bildern.“
Anja Hirsch, Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Was die Faszination dieser Geschichte ausmacht, ist die Entwicklung, die die beiden Männer nehmen: allein in den gemeinsamen Stunden im Park gelingt es ihnen, dem Druck der Selbstverleugnung zu entkommen, sie öffnen sich, erzählen sich ihre Lebensgeschichten und auch ihre intimsten Gedanken und Geheimnisse. Man spürt, Milena Michiko Flašar will viel. Ihr gelingt aber auch einiges: vor allem ein sehr eigener, sehr ruhiger Ton. Und: die Geschichte lebt von zwei sehr starken Charakteren und den eindringlichen Nahaufnahmen der japanischen Gesellschaft.“
Astrid Mayerle, Bayerischer Rundfunk
»Milena Michiko Flašar schreibt in poetischen, kurzen Sätzen, die wie Glasmurmeln in ihrem Innern noch einen andersfarbigen, schillernden Kern haben. Die Autorin besitzt ein gutes Gespür für Dosierung und Rhythmus; die kompositorische Strenge des Romans dient als Gerüst, das auch große Gefühle trägt.«
Britta Heidemann, Westdeutsche Allgemeine Zeitung
»Ein knapper, hypnotisch wirkender Text. Preisverdächtig.«
Marion Quandt, Westdeutscher Rundfunk, 1 Life
» Flašars Buch besteht aus Episoden. Diese Episoden sind von großer Eindringlichkeit, von großer Ruhe und in ihrer Reihenfolge von großer Zwangsläufigkeit. Dieser Roman hat nichts Belehrendes, auch wenn wir etwas lernen können. Die Erzählung dieser beiden am Leben verzweifelten Menschen ist auch empfehlenswert, weil wir diskret aufgefordert werden, wieder richtig hinzuschauen und hinzuhören (was nämlich niemandem schaden würde), vor allem aber, weil sie aus einem Guss und stilistisch schlicht und ansehnlich ist und weil sie zwischen Vorstellung, Idee und Wirklichkeit immer die Waage hält.«
Peter Urban-Halle, Deutschlandradio Kultur
»Ohne plakativ zu werden erzählt das Buch in glasklarer Sprache aus der Perspektive des Hikikomori von Lebenslügen, Herzbrüchen und von Affären mit einer Geliebten namens Illusion. Mit Ich nannte ihn Krawatte legt die Autorin einen auch formal erstaunlich reifen Roman vor. «
Stefan Gmünder, Der Standard
»Ruhig fließend steuert der Roman auf Dramen zu. Ist er am Ziel angelangt, will man jeden berühren, solange er noch unter uns ist. Und alle, alle möchte man umarmen – inklusive Milena Michiko Flašar, die wie ‚ihr‘ Hikkokomori aus dem Schatten gesprungen ist.«
Peter Pisa, Kurier Wien
„Der Roman hat etwas Schwereloses, Schwebendes. Man kann sich als Leser fragen: Wie schafft die 32-jährige Wiener Autorin, quasi laufmeterweise Einsichten in die Psychologie und ins Leben an sich niederzuschreiben, ohne dabei jemals platt oder bemüht zu wirken. Dass Flašar in diesem anspielungsreichen, subtilen Buch so berührende Worte für die belastenden Ereignisse findet, ist ein literarischer Glücksfall. In „Ich nannte ihn Krawatte hat sie einen poetisch-lakonischen Ton getroffen, der Kritik und Leserschaft gleichermaßen begeistert.“
Werner Schandor, Wiener Zeitung
«Es ist eine Geschichte über Illusionen, die sich in eine Krankheit verwandeln können und denen in einer desillusionierenden Gesellschaft keine Gerechtigkeit widerfährt. Was Alexander Kluge den „Antirealismus des Gefühls“ nennt – nicht einverstanden zu sein mit einer Wirklichkeit, die einen ignoriert -, beherrscht auch diese Figuren. Flasar löst die Problematik in einer psychologisierenden, zuweilen sentimentalen, von Lyrizismen nicht freien Sprache auf. Ihre Helden werden zu Trägern existenzieller Sinnfragen, die sie belasten. Aber sie fallen nicht, sie schweben vielmehr durch diesen ambitionierten Roman.
Ulrich Rüdenauer, Tagesspiegel
«Milena Michiko Flašar blickt durch die Augen zweier Aussteiger auf ein Bildungssystem, in dem ein Selbstmord nicht mehr ist als eine Bahnverspätung. Sie prangert die Heimat ihrer Mutter an: den Kontrast zwischen einer funktionssüchtigen Gesellschaft und der inneren Erstarrung jedes Einzelnen. In ihrem zarten Roman rüttelt sie den Lebensmut eines betäubten Jungen wach und gibt die Hoffnung auf ein Ende der Taubheit nicht auf.»
Laura Hamdorf, kulturSPIEGEL
«“Ich nannte ihn Krawatte“ ist kein harmloser Roman über eine weltliche Mann-Mann-Beziehung, sondern die schonungslose Beichte zwei Alleingelassener. Die ganze Zeit bleibt natürlich diese Hoffnung, Schüler und Lehrer könnten sich gegenseitig retten. Aber ihre sich gegenseitig hochschaukelnde Destruktivität, ihr Jammer, Kasteien und Weh-Klagen (man möchte sich manchmal vor Schmerzen die Ohren zuhalten) lotst die beiden Anti-Helden straight in Richtung Abgrund. Gänsehaut! Großer Text.»
Jan Drees, WDR 1live
«Mit großem Gespür für sprachliche und thematische Rhythmen verknüpft Flašar zwei Leben. Und damit auch die Schicksale anderer, mit diesen verbundenen Menschen. Die Souveränität, mit der die Autorin österreichisch-japanischer Herkunft in 114 kurzen Kapiteln eine Art Universalgeschichte menschlicher Wünsche und Sehnsüchte entwirft, beeindruckt ebenso wie die Art, wie hier Grundbedürfnisse reflektiert werden. Und immer wieder das schmerzliche Scheitern hinsichtlich der Befriedigung dieser Bedürfnisse. Das geschieht ohne Pathos, sondern mit poetischer Präzision.»
Walter Titz, Kleine Zeitung
«Der Leser erlebt die scheue Annäherung der beiden mit, wird Seite um Seite in das wachsende Vertrauen diskret einbezogen. Nie wird die Unterhaltung der beiden geschwätzig, zu sehr kehren beide ihr Innerstes hervor, gewinnen sich dadurch selbst zurück. Später gewinnt die Geschichte an Spannung, taucht ein in das turbulente japanische Leben, endet traurig und schön. Die Autorin versetzt ihre ruhige, mit eigenen Metaphern kostbar bereicherte Erzählung immer wieder mit Erkenntnissplittern aus einem jungen Off. Das Buch ist in 114, meist nicht mehr als eine Seite umfassende Abschnitte unterteilt. Wer es in diesen Portionen lesen kann, ist ein Fastenkünstler.»
Harald Loch, Augsburger Allgemeine
«Inmitten einer Welt der Kälte, die trotz ihrer exotischen Anmutung der unseren allzu sehr ähnelt, bilden Flašars sympathische Antihelden kleine Inseln der Humanität. Sie schaffen eine Atmosphäre der Hoffnung, die sich nicht anbiedert, sondern couragiert und bisweilen sehr weise auf eine Zukunft verweist, in welcher der Einzelne nicht mehr auf seinen Marktwert reduziert wird und Devianz nicht mehr als Makel gilt. Der jungen Autorin, die mit dem fernöstlichen Kulturkreis vertraut ist, gelingt dabei das Kunststück, dieser Zuversicht Rückenwind zu verleihen. Ein Grund mehr, sich in die Lektüre dieses über nationale Befindlichkeiten und Philologien hinausweisenden Globalisierungsromans zu vertiefen.»
Walter Wagner, Literaturhaus Wien
«“Ich nannte ihn Krawatte“ ist nicht nur literarisch der stimmigste und berührendste Roman der in St.Pölten geborenen Autorin. Es ist auch thematisch ein aufwühlendes und wachrüttelndes Buch, das den lauten Hilfeschrei zwischen all den Zeilen der Stille und des Schweigens in ein großes Plädoyer transformiert. Ein Plädoyer für Mitgefühl und Menschlichkeit, für die Fähigkeit, mehr Verständnis für andere Menschen und ihre Situation aufzubringen. »
Andreas Gstettner, Österreichischer Rundfunk fm4
«Flašar inszeniert ihr Begegnungen in gut hundert kurzen Abschnitten als eine Art Gesprächstherapie auf Gegenseitigkeit. Die beiden blicken zurück, nähern sich einander an und stoßen schließlich zum Kern ihres Unglücks vor. Die Sprache Flašars ist dabei so klar und von magischer Ruhe getragen, als ginge es darum, den großen Klassikern der japanischen literatur des 20. Jahrhunderts, Yasushi Inoue oder Yasunari Kawabata, Referenz zu erweisen.» Sebastian Hammelehle, Spiegel Online
«Stilistisch straff und stark bringt das Buch Vorstellung und Wirklichkeit zusammen, ohne sie zu verquirlen.»
Peter Urban-Halle, Neue Zürcher Zeitung